Totes Baby im Wohnwagen

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Ein nicht alltäglicher Einsatz war es allemal. Denn ich wurde auf einen Campingplatz gerufen. In einem dort abgestellten Wohnwagen befand sich ein totes Baby. Der hinzugezogene Notarzt hatte nur noch den Tod des Babys feststellen können.

“Meine Freundin hat sich Hämorrhoidensalbe aufgetragen.”

Der Ablauf wurde mir folgendermaßen geschildert: Frau Böhm* habe nichts von ihrer Schwangerschaft gewusst. Doch die Tage vor dem Ereignis habe sie anale Beschwerden gehabt. Dabei habe sie auf Hämorrhoiden getippt. Und sie habe sich eine entsprechende Arznei besorgt. Das Kind sei im Rahmen eines morgendlichen Toilettengangs einfach “herausgefallen”.

Frau Böhm lebte zusammen mit ihrem Lebensgefährten im Wohnwagen. Einen festen Wohnsitz konnte das Paar nicht vorweisen. Die Wohnverhältnisse im Wohnwagen waren desolat. Vieles sprach für den reichlichen Konsum von Alkoholika.

Das Baby zeigte deutliche Verwesungszeichen.

Somit war zunächst nicht klar, ob die Aussagen des Paares glaubhaft waren. Das Baby zeigte bereits deutlich Zeichen der Verwesung. Die Haut schälte sich ab. Und der Fäulnisgeruch im Wohnwagen war deutlich wahrzunehmen. War es glaubhaft, dass es erst wenige Stunden zuvor den Mutterleib verlassen hatte?

Ist es möglich, dass eine schlanke, ansonsten fast knochige Frau nichts von ihrer Schwangerschaft bemerkte? Das Baby war bereits voll entwickelt. Es hatte sich um eine fortgeschrittene Schwangerschaft gehandelt. “Wir haben bemerkt, dass meine Freundin zunimmt”, sagte der Lebensgefährte. “Aber wir haben viel gegessen und uns wegen des schlechten Wetters wenig bewegt. Wir dachten, es liegt an unserer Trägheit.”

“Ich habe in 25 Jahren als Gynäkologin einen solchen Fall noch nicht gehabt.”

Frau Böhm war unterdessen in die nächstgelegene Klinik transportiert worden. Also nahm ich Kontakt zur dortigen Frauenärztin auf. Diese fragte sofort: “Wie sieht das Baby aus? Die Plazenta wurde bei uns ausgeschieden. Sie begann sich bereits zu zersetzen und roch nach Verwesung. Ich habe in 25 Jahren als Gynäkologin einen solchen Fall noch nicht gehabt.” Ich konnte bestätigten, dass auch das Kind bereits entsprechend verwest war.

Das Baby musste bereits Tage zuvor gestorben sein. Es handelte sich wahrscheinlich um einen intrauteriner Fruchttod. Ungewöhnlich war der Fall dennoch: die desolaten Wohnverhältnisse eines jungen Paares in einem Wohnwagen. Und eine knochige Mutter, die 8 Monate lang ihre Schwangerschaft nicht bemerkt haben will…

(*) Name selbstverständlich geändert.

Stefan Hartl

Jahrgang 1979. 2 Kinder. Arzt seit 2006. Facharzt für Anästhesie, Notfallmedizin, Suchtmedizin, Reisemedizin. Freiberufliche Tätigkeit, u.a. als Leichenschauer, seit 2006. Interessen: Literatur, Reisen.

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